Sprachliche Vielfalt: „Ein Dialekt braucht Liebe und Macht“

Der Sprachwissenschaftler Johannes Kretschmann gibt Unterricht zum Thema Dialekt

Sprachwissenschaftler Johannes Kretschmann

Was hat es mit diesem Satz auf sich? Nachdenklich schauen die Schülerinnen und Schüler der zehnten Klasse ihren Gast an. Vor ihnen steht der Sprachwissenschaftler Johannes Kretschmann. Er veranstaltet am CLG einen Workshop zum Thema Dialekt. Damit möchte er wieder mehr Bewusstsein für die sprachliche und kulturelle Vielfalt, ergo die heimischen Dialekte im Ländle schaffen. Besonders wichtig ist ihm klar zu stellen, dass unser Schwäbisch nicht nur eine vernuschelte Version des Standarddeutschen ist. Da der Dialekt vorher da war, hat er eben auch eine eigene Grammatik und folgt seinen eigenen Regeln. An den schwäbischen Umlauten und Diphthongen (Doppellaute: das Schwäbische kennt 16, das Hochdeutsche nur 3) werde das schnell klar. Kretschmann erklärt, dass die Entwicklung des Standarddeutschen oft ein Mittelweg zwischen den verschiedenen nieder- und oberdeutschen Dialekten gewesen ist. Ob ein gesprochener Dialekt dann eine Sprache wird, habe viel mit Konventionen und Kompromissen zu tun. Und dialektaler Sprachgebrauch hänge auch von politischen Rahmenbedingungen ab, so Kretschmann weiter. Sein Beispiel ist die Schweiz, ein eigenständiger Staat, in dem sich auch in Abgrenzung zum großen Nachbarn Deutschland das Schwyzerdütsch höchster Wertschätzung erfreut. Im Gegensatz zu Deutschland, wo Dialekte im Schwinden begriffen sind, ist das Schwyzerdütsch deshalb nicht nur im privaten, sondern auch im medialen und politischen Raum eine Selbstverständlichkeit.

Sprachwissenschaftler Johannes Kretschmann

Wer denn hier im Klassenraum schwäbisch spreche, möchte Kretschmann wissen. Acht Schüler melden sich zögerlich. „I finds fascht a bissle schad, dass des nur so wenig sind“, bemerkt Schüler Felix. Kretschmann greift dies auf und wirbt bei den Schülern dafür, den Dialektgebrauch auch als Markenzeichen für sprachliche und kulturelle Vielfalt und als Bereicherung zu sehen. Er betont aber, dass es ihm nicht darum gehe, Schwäbisch gegen das Standard- oder Hochdeutsche auszuspielen. Mit seinem Schwäbisch-Workshop möchte er den Sprachgebrauch der Schüler schärfen und die historische Entwicklung von Sprache aufzeigen. Und außerdem die Begeisterung und Freude junger Menschen für das Spielen mit Sprache und speziell ihrem eigenen hiesigen schwäbischen Dialekt wecken. Und auf schwäbisch fluchen macht richtig Spaß: Der „Grasdackel“ ist auch den Nichtschwäbischsprechern in der Klasse ein Begriff. Ein kleines Gedicht – ein Haiku – auf schwäbisch zu verfassen, brachte abschließend alle – schwäbisch oder nicht – erst ins Schwitzen, dann zum Schmunzeln. Die Ergebnisse des Gedichtwettbewerbs können sich sehen lassen: in drei Zeilen bringt man das Thema „Liebe im Dorf“ („Mögete im Oart“) humorvoll-schwäbisch auf den Punkt.